Grefrath steht auf ! (25.Mai 2024)

 

 

 

Rede Irmgard Tophoven – 25. Mai 2024

 

 

 

„Der Holocaust begann mit dem Schweigen und Wegschauen der Gesellschaft“. So sagte es Eva Weyl, eine Zeitzeugin und Holocaustüberlebende, kürzlich in einer Lesung vor Schülerinnen und Schülern der Liebfrauenschule Mülhausen.

 

Es gab eine Zeit, auch hier in Grefrath, so habe ich es in vielen Gesprächen mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus gehört, da war der Schulbesuch für jüdische Kinder verboten. Man berichtete mir: „ Plötzlich war Gerd Levy nicht mehr in der Schule, Rolf und Helga Sanders mussten unsere Schule verlassen. Sie emigrierten mit ihren Eltern in die Niederlande“.

 

Es gab eine Zeit , da wurden Menschen stigmatisiert und ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Eine Zeitzeuge sagte mir: „ Der Judenstern auf dem Mantelkragen von Jakob Frank war ein schrecklicher Anblick. Der schämte sich und wir schämten uns!“

 

Es gab eine Zeit, da wurde gewaltsam und mit Boykott gegen Juden und so genannte Entartete vorgegangen. Zitat: „Wir durften nicht mehr beim Metzger Sally Levy Rindfleisch kaufen!“ oder „Kauft nicht bei Thönnissen“,

 

die Familie war eine judenfreundliche Familie. In der Pogromnacht 1938 wurde das gesamte Porzellan und Teile des Mobiliars der Familien Willner und Levy zerstört. Ein Zeitzeuge sagte: „ Und wir haben zugeschaut!“

 

Es gab eine Zeit , da wurde von oben diktatorisch verordnet, wer arisch war und wer diesem Idealbild entsprach und wer nicht.

 

DAS genau ist das Fanal, das aufhorchen lassen muss. Sprache und Rhetorik des NS begegnen uns heute wieder in den rechtsextremistisch eingestuften Parteien, der „Jungen Alternative für Deutschland“, der AFD, der Reichsbürger und der Identitären. Ich zitiere einige Beispiele aus den Programmen: „Deutscher Volkskörper“, deutsches „Volkstum“, „Wiederherstellung der deutschen Identität“, Überfremdung“, „Lügenpresse“, „Remigration“, „Austritt aus der EU“ und eine Nähe zu autoritären Systemen z.B.Putins und Chinas.

 

Aus den Programmen spricht ein tiefer Hass auf unsere demokratischen und freigewählten Staatsorgane, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit sowie Antisemitismus. Das Ziel rechtsextremistischer Parteien und Organisationen ist eine homogene Gesellschaft.

 

Welche Botschaft ergibt sich aus der NS-Vergangenheit und der momentan rechtsextremistisch und antisemitisch aufgeheizten Gesellschaft für uns heute jetzt?

 

Das Vorgehen gegen Juden, so genannte Entartete und Andersdenkende in den Jahren 1933 – 1942 war öffentlich, war sichtbar. Die Ermordung von ca. 6 Millionen Juden, Sinti Roma und viele Gegner des Systems erfolgte weitgehend verschleiert in Lagern und KZs im Osten Europas. Ein breiteres vorzeitiges couragiertes Demonstrieren und Aufstehen hätte Schlimmeres verhindern können.

 

Grefrath steht auf! Jetzt! Jetzt ist die Zeit! Wir sagen NEIN gegen Rechtsextremismus, gegen jede Form von Antisemitismus, sei sie traditionell von rechts, links oder zum Teil importiert aus arabischen Staaten. Wir sagen NEIN gegen Rechtsextremismus weder in Schulen, Universitäten, in Kultur und Sport, in Vereinen und vor allem in den sozialen Medien.

 

Jetzt ist die Zeit vorzeitig aufzustehen und den Mund aufzutun für die Würde eines jeden Menschen, für Toleranz und Vielfalt, für eine offene Gesellschaft und gegen jegliche Form von Ausgrenzung.

 

Der Kabarettist Hans Dieter Hüsch, der schon 1981 in einer geradezu beklemmenden Vorschau die schleichenden Anfänge von Ausgrenzung aufspürte und aufzeigte wohin dies führen kann, formulierte es folgendermaßen:


 

 

Das Phänomen….
(von Hans Dieter Hüsch)

 

. Was ist das für ein Phänomen / Fast kaum zu hören kaum zu sehn
Ganz früh schon fängt es in uns an / Das ist das Raffinierte dran
Als Kind hat man\'s noch nicht gefühlt / Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt / Und niemand hat deshalb geheult
Doch dann hieß es von oben her / Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr
Das möcht ich nicht noch einmal sehn / Was ist das für ein Phänomen

Und ist man größer macht man\'s auch / Das scheint ein alter Menschenbrauch
Nur weil ein andrer anders spricht / Und hat ein anderes Gesicht
Und wenn man\'s noch so harmlos meint / Das ist das Anfangsbild vom Feind
Er passt mir nicht er liegt mir nicht / Das ist das nicht und find ihn schlicht

Geschmacklos und hat keinen Grips / Und außerdem sein bunter Schlips
Dann setzt sich in Bewegung leis / Der Hochmut und der Teufelskreis
Und sagt man was dagegen mal / Dann heißt\'s: Wer ist denn hier normal
Ich oder er du oder ich / Ich find den Typen widerlich

Und wenn du einen Penner siehst / Der sich sein Brot vom Dreck aufliest
Dann sagt ein Mann zu seiner Frau / Guck dir den Schmierfink an die Sau
Verwahrlost bis zum dorthinaus / Ja früher warf man die gleich raus
Und heute muss ich sie ernähr\'n / Und unsereins darf sich nicht wehr\'n

Und auch die Gastarbeiterpest / Der letzte Rest vom Menschenrest
Die sollt man alle das tät gut / Spießruten laufen lassen bis auf\'s Blut
Das hamwer doch schon mal gehört / Da hat man die gleich streng verhört
Verfolgt gehetzt und für und für / Ins Lager reingepfercht und hier

Hat man sie dann erschlagen all / Die Kinder mal auf jeden Fall
Die hatten keinem was getan / Was ist das für ein Größenwahn
Das lodert auf im Handumdrehn / Und ist auf einmal Weltgeschehn
Denn plötzlich steht an jedem Haus / Die Juden und Zigeuner raus

Nur weil kein Mensch derselbe ist / Und weiß und schwarz und gelbe ist
Wird er verbrannt ob Frau ob Mann / Und das fängt schon von klein auf an
Und wenn ihr heute Dreirad fahrt / Ihr Sterblichen noch klein und zart
Es ist doch eure schönste Zeit / voll Phantasie und Kindlichkeit

Lasst keinen kommen der da sagt / Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt
Dann stellt euch vor das Türkenkind / dass ihm kein Leids und Tränen sind
Dann nehmt euch alle an die Hand / Und nehmt auch den der nicht erkannt
Dass früh schon in uns allen brennt / Das was man den Faschismus nennt
Nur wenn wir eins sind überall / Dann gibt es keinen neuen Fall
Von Auschwitz bis nach Buchenwald / Und wer\'s nicht spürt der merkt es bald

Nur wenn wir in uns alle sehn / Besiegen wir das Phänomen
Nur wenn wir alle in uns sind / Fliegt keine Asche mehr im Wind